Expert:innen-Ecke A.Klein, S.Müller

Reflexionsbericht

Der folgende Bericht soll unsere Arbeitsschritte und den theoretischen Hintergrund unseres Vermittlungsansatzes noch einmal näher beschreiben. Zudem haben wir unser Vorgehen auch kritisch hinterfragt und überlegt, welche Aspekte einer solchen Arbeit wir in Zukunft anders gestalten würden.

Allgemeine Angaben zu unserem Vermittlungsansatz

Im Rahmen des Seminars „Grundlagen der Kunstpädagogik und Kunstvermittlung“ erhielten alle teilnehmenden Studierenden den Auftrag, sich mit wissenschaftlichen Positionen zur digitalen Kunstvermittlung auseinanderzusetzen. In Kooperation mit verschiedenen Ausstellungshäusern sollte anhand dieser theoretischen Bezüge ein eigenes Konzept entwickelt und umgesetzt werden. Wir, Anna Klein und Susan Müller, entschieden uns dazu, einen Vermittlungsansatz zur Ausstellung „Marc Chagall – von Witebsk nach Paris“ im Kunsthaus Apolda zu erarbeiten. Hintergrund dieser Entscheidung war zunächst unser eigenes Interesse am Künstler und dessen fantasievoller und poetischer Ausdrucksweise. Die oft traumhaft anmutende, symbolreiche und farbenfrohe Bildsprache der Werke Chagalls betrachteten wir zudem als besonders geeignet für die von uns favorisierte Zielgruppe der Kinder im Grundschulalter. Aufgrund der aktuellen Bedingungen im Zuge der Corona-Pandemie war schon zu Beginn des Semesters recht schnell klar, dass es sich um ein digitales Kunstvermittlungsformat handeln sollte. Durch die Theoriebeiträge im Seminar und den Austausch mit anderen Studierenden sowie der Dozentin, erhielten wir verschiedene Anregungen zu Ausgestaltungsmöglichkeiten unseres Kunstvermittlungsansatzes und legten uns schließlich auf die Erstellung eines Audioguides fest. Wir wählten dazu acht der ausgestellten Werke aus, zu denen wir jeweils kurze Texte verfassten, die anschließend von einem professionellen Studio vertont werden sollten. Die so entstehenden Audiospuren sollten später in beliebiger Reihenfolge von den Kindern angehört werden. Für den Fall, dass das Kunsthaus Apolda pandemiebedingt nicht besucht werden könnte, planten wir, den Audioguide auch auf der Website des Kunsthauses zur Verfügung zu stellen. Anhand welcher Kriterien wir die einzelnen Texte ausgestalteten, soll im Folgenden erläutert werden.

Theoretischer Hintergrund unseres Vermittlungsansatzes

Grundlage unserer Überlegungen zu den Texten für den Audioguide bildeten die vier Dimensionen der Kunstvermittlung, die Charman wie folgt definiert: Personal approach (eigene Bezüge einer Person zum ausgestellten Werk), Object (formale Eigenschaften des Werks), Subject (Inhalte und Themen des Werks) und Context (z.B. gesellschaftlicher Kontext, in dem das Werk steht). All diese Dimensionen sollten für den Vermittlungsprozess stets berücksichtigt werden, können dabei aber unterschiedlich gewichtet werden (vgl. Charman, 2006, o.S.). So nahmen wir auf den Context Bezug, indem wir Informationen zur Person Chagalls und der Zeit, in der er lebte, in die Texte einfließen ließen: Wir beschrieben etwa sein Leben in Paris, erläuterten die Bedeutung seiner Heimat für seine Kunst und gingen auch auf die von ihm verwendeten, immer wiederkehrenden Symbole und Motive ein.

Neben dieser recht faktenbasierten Vermittlung legten wir im Sinne des Ansatzes von Eva Sturm zudem gesteigerten Wert darauf, die Kinder als Subjekte in die Auseinandersetzung mit der Kunst einzubeziehen (vgl. Sturm, 2004, S. 2 ff.). Die Dimension Personal approach erhielt daher einen besonderen Stellenwert: Hörer*innen des Audioguides sollten dazu angeregt werden, ihre eigenen Empfindungen und Gedanken in Bezug auf ein Werk wahrzunehmen und zu reflektieren. Dies wollten wir durch gezielte Fragestellungen der Erzählerfigur realisieren – eines Vogels mit dem Namen David (benannt nach Chagalls Bruder). Dieser stellt sich den Kindern in einer Einführungssequenz vor und lässt sich auch in zahlreichen Werken der Ausstellung wiederfinden. Indem sich die Erzählerfigur in einzelnen Sequenzen gezielt nach Gefühlen, persönlichen Erinnerungen und Assoziationen der Kinder erkundigt, sollte ein Beitrag zur emotionalen Auseinandersetzung mit dem Gesehenen geleistet werden. Und auch in Hinblick auf die Dimensionen Subject und Object wollten wir die Kinder aktiv in die Vermittlung einbeziehen. Statt ihnen vermeintlich eindeutige Antworten bezüglich der formalen und inhaltlichen Besonderheiten eines Werks zu liefern, sollten sie im Vermittlungsprozess dazu aufgefordert werden, das Dargestellte selbst zu untersuchen, zu interpretieren und auch mit anderen Besucher*innen in einen Austausch darüber zu treten. Auf diese Weise sollte deutlich gemacht werden, dass es keine finale, „richtige“ Deutung von Kunst geben muss bzw. geben kann. Wie auch bereits Umberto Eco in „Das offene Kunstwerk“ betont, hängt diese vielmehr vom Rezipienten selbst und dessen individuellen Vorerfahrungen ab (vgl. Eco, 1998, S. 29). Nach Sturm kann ebendieser „Mangel“ an Eindeutigkeit des Gesehenen in der Vermittlung produktiv genutzt werden – ein Ziel, welches auch wir bei der Entwicklung unserer Audioguides verfolgen wollten (vgl. Sturm, 2002, S. 205).

Der Ansatz des aktiven Einbezugs von Betrachter*innen im Kunstvermittlungsprozess ist nicht nur im kunsttheoretischen Diskurs, sondern auch im „Thüringer Bildungsplan für Kinder bis 18 Jahre“ in der künstlerisch-ästhetischen Bildung im Primaren und Elementaren Bereich verankert: So sollen Begegnungen mit Kunst (auch im musealen Kontext) „praktisch, handlungs- und erfahrungsbasiert“ stattfinden (Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport, 2019, S. 184), sowohl einen Austausch als auch ein „In-sich-gehen“ erlauben (ebd., S. 186) und letztlich die Erkenntnis schulen, dass die Wahrnehmung von Kunst etwas grundsätzlich Subjektives und Individuelles ist (vgl. ebd., S. 182 f.).

Reflexion unseres Vermittlungsansatzes

Da wir alle vier Dimensionen der Kunstvermittlung in unsere Ausarbeitung einbeziehen wollten, war zunächst eine umfassende Recherche zum Künstler und dessen Wirken notwendig. Diese sowie die ersten Ideensammlungen zu ausgewählten Bildern nahmen wir in gut gelingender Teamarbeit vor, sodass wir schon bald erste Textentwürfe für einzelne Audiosequenzen erarbeitet hatten. Die eigentliche Herausforderung stellte allerdings die adressatengerechte Überarbeitung der Texte dar. Wortwahl, Satzbau und Komplexität der Formulierungen mussten so angepasst werden, dass diese möglichst für alle Kinder der von uns angesprochenen Altersgruppe verständlich wären – unabhängig von Vorerfahrungen oder sprachlicher Gewandtheit des bzw. der Einzelnen. Diese Gestaltung musste umso gründlicher erfolgen, da es sich bei unserem Konzept um eine rein digitale Form handelt, die keinerlei Rückfragen bei der vermittelnden Person ermöglicht und somit ‚selbsterklärend‘ sein muss. Es war dahingehend notwendig, bewusste Vorannahmen zu unserer Zielgruppe zu treffen – auch, wenn dies nach Sturm mit Problemen verbunden sein kann (vgl. Sturm, 2015, S. 1). In Rücksprache mit Frau Prof. Dr. Stutz und im Zuge mehrerer „Probeläufe“ mit Kindern im Bekanntenkreis verzichteten wir weitgehend auf unerklärte Fachbegriffe und verschachtelte Sätze. Zudem achteten wir darauf, stets nur jeweils einen Gedanken zu präsentieren, um einer Überforderung vorzubeugen.

Bisher können wir uns in Hinblick auf die Frage, wie gut uns dies gelungen ist, vor allem auf die Erfahrungen aus unserem privaten Kreis berufen. Diese waren, besonders mit fortschreitender Überarbeitung der Texte, recht positiv. Auch die „aktivierende“ Absicht unseres Formats scheint gelungen zu sein, wie wir den Reaktionen auf einzelne Texte entnehmen konnten. Dennoch bleibt die Rückmeldung abzuwarten, wie unser Konzept später in der Ausstellung als „Gesamtwerk“ funktioniert: Das heißt, wie gut es den Kindern gelingt, die auf die Einführungssequenz folgenden Audiospuren unabhängig voneinander anzuhören, ohne dabei „den roten Faden“ und die Freude an dieser Erfahrung zu verlieren. Zwar haben wir versucht, die Sequenzen so zu konzipieren, dass sie in beliebiger Reihenfolge gehört werden können und dies sowohl im Zweierteam als auch in unseren Testläufen ausprobiert. Dennoch könnten sich in der Praxis Unstimmigkeiten offenbaren. Rückblickend ist uns etwa aufgefallen, dass sich einige der einzelnen Audiosequenzen stark ähneln. So kommen bestimmte Fragen an die Kinder in abgewandelter Form mehrmals vor und auch die Art der Informationsvermittlung verändert sich nicht grundlegend. In diesem Sinne möchte wir bei künftigen Projekten auf einen größeren Abwechslungsreichtum sowie eine intensivere Absprache mit den Ausstellungsleiter*innen achten.

Darüber hinaus bestehen an einigen Stellen unseres Ansatzes Verbesserungspotentiale etwa in Hinblick auf die vier Dimensionen der Kunstvermittlung: Diese bezogen wir auf den Audioguide als Gesamtvermittlungsansatz. Das bedeutet, dass in unserem Konzept zwar insgesamt alle Dimensionen beachtet wurden, nicht aber jede einzelne Dimension in jedem einzelnen Text. Dies ist auch auf unsere Unsicherheit bezüglich der Voraussetzungen unserer Zielgruppe zurückzuführen und die damit einhergehende Befürchtung einer Überforderung bei zu viel Information. Eine konsequentere Anwendung des Dimensionsprinzips (bei gleichzeitiger Reduzierung der inhaltlichen Komplexität) wäre bei einem folgenden Vermittlungsansatz sicher gewinnbringend.

In Bezug auf Eva Sturms Ansatz ist es uns hingegen gelungen, die Rezipientinnen in jeder einzelnen Sequenz mithilfe von Fragen und Anregungen aktiv anzusprechen und einzubinden. Allerdings bezogen sich die von uns gelieferten Impulse teilweise weniger auf die kritische Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Kunstwerk als auf persönliche Erinnerungen und Assoziationen zur abgebildeten Szenerie (z.B. dem Zirkus). In Zukunft möchten wir daher auf eine stärkere Verschränkung dieser beiden Ebenen achten. Und auch hinsichtlich des im Bildungsplan formulierten Ziels, Kunst als etwas Individuelles und Subjektives zu verdeutlichen, besteht Verbesserungspotenzial. Zwar erfolgte vereinzelt die Anregung, sich mit anderen Besucher*innen der Ausstellung auszutauschen. Um zu der eben genannten Erkenntnis zu gelangen, sollte dem Dialog in einem folgenden Vermittlungsansatz jedoch ein deutlich höherer Stellenwert zukommen.

Fazit

Wir haben die enge Verzahnung von Theorie und Praxis in diesem Seminar als sehr gewinnbringend empfunden. Durch die Referate, Exzerpte und Gesprächsrunden wurden die kunstpädagogischen Positionen verständlich und somit zugänglich für die Ausarbeitung der berufsorientierenden Übung. Im – trotz der besonderen Bedingungen – intensiven Austausch mit Kommiliton*innen, Dozentin und Ausstellungsleitung haben wir viel für die inhaltliche und organisatorische Gestaltung zielgruppengerechter Kunstvermittlungsangebote dazugelernt und gleichzeitig unseren kritischen Blick auf diese geschärft. Dies sehen wir als eine wertvolle Erfahrung für unser späteres Berufsleben im Lehramtsbereich an.

Wir hoffen, dass der von uns erarbeitete Audioguide Kinder dazu anregen wird, in eine ganz persönliche Auseinandersetzung mit Marc Chagalls Werken zu treten.

Literaturverzeichnis

Charman, H. (2006). The art gallery handbook: a resource for teachers. London: Tate Publishing.

Eco, U. (1998). Das offene Kunstwerk. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.

Sturm, E. (2002). Woher kommen die KunstvermittlerInnen? Versuch einer Positionsbestimmung, In S. Rollig & E. Sturm (Hrsg.): Dürfen die das? Kunst als sozialer Raum. Wien: Verlag Turia + Kant.

Sturm, E. (2004). Von Kunst aus – Aktive Rezeption: Was im Hamburger Bahnhof vor sich ging, In E. Sturm (Hrsg.): Wo kommen wir da hin? Künstlerische Experimente zur Kunstvermittlung. Berlin: Mensch und Buch Verlag.

Sturm, E. (2015). Die Position „Von Kunst aus“ in 9 Punkten dargelegt. In Mission Kulturagenten – Onlinepublikation des Modellprogramms „Kulturagenten für kreative Schulen 2011-2015“. Berlin: o.V., abgerufen unter: www.kulturagenten-programm.de.

Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (Hrsg.) (2019): Thüringer Bildungsplan bis 18 Jahre. Weimar: verlag das netz.